Zum Interview empfängt Orun Palit im Wintergarten seines schmucken Reihenhauses im Wettinger Dorf. Vom Garten aus fällt der Blick auf Lägern und Eigi, und hinter dem Haus beginnt der steile Hang des Sulpergs. Im Mai 2000 zog Palit mit seiner Ehefrau und dem damals zweijährigen Töchterchen von Zürich nach Wettingen, zurück zu den Wurzeln: «Hier bin ich aufgewachsen, habe alle Schulen in Wettingen absolviert. Als ich siebzehn war, zogen wir in die Region Basel, weil mein Vater dort einen Job antrat», erzählt der 57-Jährige. Ein leichter Baseldyytsch-Akzent zeugt bis heute von jener Zeit. Später hat er in St. Gallen gelebt, dann in Zürich, wo er bis heute bei einer kleinen Privatbank als Kundenbetreuer und Anlageberater für den asiatischen Raum tätig ist. «Weil ich in Zürich arbeite, wollte ich in Wettingen wieder Wurzeln schlagen. Als politisch interessierter Mensch bot sich die Lokalpolitik an», sagt Palit und lacht.
Er ist grundsätzlich ein freundlicher Mensch und lacht viel. Politik sei für ihn weniger Netzwerk, sondern sachorientiert, erklärt der Präsident der Grünliberalen Partei Wettingen: «Ich will für die Allgemeinheit etwas verändern, nicht um mich zu profilieren.» Er nutze das Privileg, dass gewöhnliche Bürger in der direkten Demokratie in der Politik mitmachen können. 2011 stieg er als Kassier bei der zwei Jahre zuvor gegründeten Ortspartei ein. 2012 wurde er deren Präsident, ein weiteres Jahr später schaffte er bereits die Wahl in den Einwohnerrat.
Lob von der Fraktionschefin
Dort hat sich Palit in den letzten Jahren auf Themen wie Finanzen, Steuern und erneuerbare Energien spezialisiert, die er nun auch als Mitglied der Finanzkommission einbringen kann. Vor allem als Gegner einer Steuerfusserhöhung hat er sich einen Namen gemacht. Das brachte ihm nicht nur Freunde ein. Von vielen Parteien spürte er in der Vergangenheit Gegenwind. «Für die Mitte CVP und die SP/WettiGrüen biete ich offenbar viel Angriffsfläche, manchmal auch für die FDP», wundert er sich. Dies bestätigt Manuela Ernst, GLP-Fraktionspräsidentin im Einwohnerrat: «In den letzten Jahren wehte Orun ein starker Wind entgegen, aber er ist seiner Linie immer treu geblieben. Das braucht Mut und war sicherlich nicht immer einfach – ich bewundere das sehr.» Das Wachstum und der Erfolg der GLP beruhten zum grossen Teil auf seinem Engagement für die Partei, ist Ernst überzeugt: «Er ist für mich ein Vorbild – auch wenn wir politisch nicht immer gleicher Meinung sind.» Orun Palit lässt sich nicht unterkriegen. Man habe ihm geraten, die Kritik als Kompliment zu sehen: «Die haben halt Angst vor dir!» Doch ganz so einfach sei das nicht, gibt der 57-Jährige zu. Er versteht nicht, dass viele GLP-Vorstösse nicht unterstützt werden, zumal die GLP viele Vorstösse der andern Parteien unterstütze. «Manchmal kam es vor, dass andere unsere Ideen zu einem späteren Zeitpunkt im Rat vorbrachten.» Dies demotiviere ihn jedoch überhaupt nicht, beteuert er, im Gegenteil: «Je mehr man auf mir herumhackt, desto mehr Energie habe ich, die GLP als starke politische Kraft in Wettingen zu etablieren.»
Den ersten Schritt hat seine Partei bei den Einwohnerratswahlen im 2021 gemacht, indem sie die Sitzzahl von 4 auf 8 verdoppelte, den Wähleranteil von 7,3 auf 17,3 Prozent steigerte. Er selber holte von 142 Kandidierenden das viertbeste Resultat. Das macht ihn zwar stolz, doch er hat noch höhere Ziele mit der Partei: «Die Zeit für einen Platz in der Exekutive ist reif. Ich hoffe, dass wir für die nächste Legislatur mit zwei Personen antreten können – einer Frau und einem Mann.»
Beschränkung der Redezeit
Manchmal eckt Orun Palit im Einwohnerrat mit seinen Voten an. Auch an der heutigen Sitzung wird er das Wort ergreifen: «Ich werde wahrscheinlich ein kurzes Votum zu einer Interpellation von Martin Fricker und mir betreffend Einflussnahme auf die Entlöhnung des Gemeindepersonals machen», kündigt er an. Der letzte Ratspräsident Christian Pauli beschränkte die Redezeit auf drei Minuten – in Baden sind es fünf. Palit findet: «Ich gebe zu, meine Voten sind manchmal sehr lang, und ich bin auch kein besonders guter Redner. Aber man kann doch nicht in drei Minuten ein komplexes Thema wie das Tägi abhandeln, das uns 53 Millionen gekostet hat!» Er versuche stets, viele Aspekte in seine Voten einzubringen, «doch es fällt mir schwer, kurz und knackig auf den Punkt zu kommen», ist ihm schon bewusst.
Um noch mehr Gewicht zu haben, schloss er sich vor drei Jahren mit Gleichgesinnten zur IG Attraktives Wettingen zusammen. Diese verfolgt das Ziel, keine voreiligen Steuerfusserhöhungen zu tätigen, gute Steuerzahlende ins Dorf zu locken und frischen Wind ins Dorf zu bringen.
«Parlament kommt von ‹parlare›»
Generell wünscht sich Palit mehr Diskussion im Einwohnerrat. «Schliesslich kommt der Begriff Parlament von ‹parlare› – ‹sprechen›», findet er. Ihm fehle im Einwohnerrat die Debattenkultur. «Die Meinungen sind in den Fraktionen schon gemacht, ohne die Voten der anderen Parteien gehört zu haben. Auch könnte der Einwohnerratspräsident eine aktivere Rolle beim Initiieren von Diskussionen spielen, anstatt nur die Traktanden abzuarbeiten», findet er.
In der Sache diskutieren zu können und dann gemeinsam ein Bier trinken zu gehen – dies sollte das Ziel in der Wettinger Kommunalpolitik sein, fordert Palit. Er sehe es als Ausdruck von Leidenschaft, seine Position zu verteidigen: «Es hat leider genug Personen, die wenig bis nichts sagen.» Um wahrgenommen zu werden, gibt er auch gern Privates in den sozialen Medien preis – vom Restaurantbesuch am Hochzeitstag bis zum Wandern in Davos, wohin es ihn in seiner Freizeit immer wieder zieht. «Die Wählerinnen und Wähler», ist er überzeugt, «wollen auch etwas Persönliches über ihre Repräsentanten wissen.» Denn sie sind in der Politik schliesslich die wichtigsten Gradmesser.