Dienstag, 13. Oktober 2020

Wettinger Parteien streiten über das Lichterlöschen – Frauen in Angst, Leute beschimpfen Politiker

Verlängern, verschieben oder streichen? Wettingen Einwohnerräte reichen drei neue Vorstösse zur Nachtabschaltung ein – diese kommt in der Bevölkerung unterschiedlich an.

Im Schatten der Budgetdebatte entwickelt sich das Thema Nachtabschaltung der Strassenbeleuchtung zu einem heiss diskutierten Thema. Am kommenden Donnerstag widmen sich im Einwohnerrat gleich drei Vorstösse dem Lichterlöschen.

In Wettingen werden seit Februar 2020 von 1 Uhr bis 4 Uhr nachts die Kandelaber abgeschaltet. Drei neue Vorschläge liegen nun auf dem Tisch: eine Verlängerung um eine Stunde bis 5 Uhr, eine Verschiebung um eine Stunde von 2 bis 5 Uhr sowie ein Überdenken der Abschaltung und gegebenenfalls ein Verzicht darauf.

Einsparungen um rund ein Drittel gesteigert

Motion Nummer eins kommt von Thomas Benz (CVP), Martin Fricker, Daniel Notter (beide SVP), Adrian Knaup (SP) und Leo Scherer (WettiGrüen). Unter dem Titel «Stern an der Limmat – Sterne am Himmel» begründen sie, dass die Abschaltung positive Reaktionen in der Bevölkerung ausgelöst habe, dass ihr kein Schaden entstanden sei und bei der Polizei keine Meldungen diesbezüglich eingingen.

Weiter würden die öffentlichen Verkehrsmittel, die allenfalls zu Fuss im Dunkeln erreicht werden müssen, ihren Betrieb erst nach 5 Uhr aufnehmen. Zudem würde die Abschaltung einen sparsameren Umgang mit Energie fördern, und die durch die Abschaltung erreichten Einsparungen von 20'000 Franken pro Jahr könnten um rund einen Drittel gesteigert werden.

«Regelung nimmt keine Rücksicht auf Frauen»

Die Motion von Simona Nicodet (CVP) verlangt neben der Verschiebung um eine Stunde von 2 bis 5 Uhr einen Verzicht auf die Abschaltung freitag- und samstagnachts. «Die heutige Regelung nimmt keine Rücksicht auf Frauen, welche die Dunkelheit als bedrohlich und gefährlich empfinden», schreibt sie.

Die uneingeschränkte Teilnahme am Leben im öffentlichen Raum sei nicht mehr möglich. Zu gross sei die Angst vor Übergriffen und körperlicher Gewalt. Die Verlagerung des Lichterlöschens und die Beibehaltung der Strassenbeleuchtung am Freitag und Samstag würde die Sicherheit zumindest ein wenig erhöhen. Nicodet betont, dass sich junge Blauring-Leiterinnen und viele Einwohnerinnen und Einwohner bei ihr gemeldet hätten und sehnlichst auf eine Verbesserung der heute unbefriedigenden Situation warten.

Gemeinderat lehnt die Motion zur Verlängerung ab

Das Postulat der SVP-Fraktion geht noch weiter. «Wir bitten den Gemeinderat, die Abschaltung der Strassenbeleuchtung in Wettingen zu überprüfen und gegebenenfalls rückgängig zu machen», heisst es im Antrag. Diverse Rückmeldungen aus der Bevölkerung zeigten, dass sich das Sicherheitsgefühl der Wettinger verschlechtert habe.

Vor diesem Hintergrund sei das jetzige Beleuchtungskonzept zu überdenken. So favorisiere der Kanton etwa Lösungen mit beleuchteten Kantonsstrassen und/oder Fussgängerstreifen. «Die Sicherheit der Wettinger Bevölkerung steht vor ökologischen und finanziellen Überlegungen», so die SVP.

Der Wettinger Gemeinderat will die beiden letztgenannten Vorstösse entgegennehmen, hingegen lehnt er die Motion zur Verlängerung der Nachtabschaltung um eine Stunde ab. In seiner Begründung schreibt er: «Die nächtliche Abschaltung der Strassenbeleuchtung hat bei der Gemeindeverwaltung entgegen der Wahrnehmung der Motionäre zu vielen negativen Reaktionen geführt. Vor allem Frauen, aber auch Männer beklagten sich über die Finsternis nachts auf Wettingens Strassen.»

Mehr Reklamationen seit Ende des Lockdowns

In den ersten Wochen seien zwar relativ wenig Reklamationen eingegangen, dies sei aber auf den coronabedingten Lockdown zurückzuführen. Nachdem die Coronamassnahmen ab Mai gelockert wurden und wieder vermehrt Personen nachts unterwegs sind, häuften sich die Klagen. Einige arten auch in Beschimpfungen über unfähige Politiker aus, welche solch unvernünftigen Massnahmen ergreifen und damit Geld über Sicherheit stellen würden.

Auch der Gemeinderat stellt fest: «Frauen fühlen sich in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, beklagen sich, von der Politik gezwungen zu werden, entweder zu Hause zu bleiben oder teure Taxis für den Heimweg bezahlen zu müssen.

Eltern übernehmen wieder vermehrt den Abholdienst, um ihre Kinder sicher nach Hause zu bringen.» Die Nachricht über eine Wettinger Einwohnerin, welche nachts in der Dunkelheit verfolgt und anschliessend sexuell belästigt wurde, fachte die Empörung über den Entscheid des Einwohnerrats, die Strassenbeleuchtung von 1 bis 4 Uhr auszuschalten, weiter an.

Sparpotenzial wiegt Nachteile nicht auf

Der Gemeinderat schreibt in seiner Antwort auf die Motion «Stern an der Limmat – Sterne am Himmel»: «Bis heute gab es bei der Gemeindeverwaltung keine einzige positive Rückmeldung zur Nachtabschaltung der Strassenbeleuchtung. Die Motion, welche die Nachtabschaltung der Strassenbeleuchtung gar noch um eine Stunde ausdehnen will, zielt am Volkswillen vorbei.»

Dunkelheit zieht Kriminelle an

Auch aus polizeilicher Sicht habe die Abschaltung der Strassenbeleuchtung mehr Nach- als Vorteile. Die Sicherheit der Bevölkerung solle im Vordergrund stehen. Die Lichtabschaltung erschwere zudem die Arbeit der Polizei und Rettungsdienste, und es kann zu gefährlichen Situationen kommen. Polizeikontrollen seien in der Dunkelheit einem höheren Risiko ausgesetzt. Die Dunkelheit ziehe zudem Kriminelle an und flüchtende Täter haben bessere Chancen, unerkannt zu entkommen.

Auch auf das Sparpotenzial der verlängerten Abschaltung geht der Gemeinderat ein: Wir sind «klar der Auffassung, dass dieser vergleichsweise geringe zusätzliche Sparbeitrag von geschätzten 6700 Franken die reduzierte Sicherheit auf Wettingens Strassen nicht rechtfertigt.» Die Motion sei demzufolge abzulehnen.